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Wenn ein Papagei beißt – Meine 4 Learnings aus dem Training mit Joker

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Pacolito - Joker

Viele von euch kennen schon die Geschichten über Joker: eine Blaustirnamazone, die angeblich andere Vögel verletzt oder sogar getötet haben soll – und von der man erzählt, dass sie einem Menschen die Fingerspitze abgetrennt hat.

Sein Ruf: höchst aggressiv, gefährlich, unberechenbar.


Als er zu mir kam, war klar: Joker ist eine Herausforderung.

Wisst ihr, was das Schöne an Papageien ist, die mit großen Herausforderungen kommen? Sie sind die besten Lehrer.


Ich liebe die Arbeit mit Vögeln, die „Probleme machen“ – bei denen eben nicht alles glatt läuft. Denn genau diese Vögel holen mich aus meiner Komfortzone, lassen mich Neues lernen und mein Wissen erweitern.

Und vor allem: Sie erinnern mich daran, was wirklich zählt.


Jeder sollte sich bewusst machen: Wer ein Tier bei sich aufnimmt, übernimmt eine große Verantwortung. Wenn ein „Problemvogel“ wie Joker bei mir landet, wird dieses Verantwortungsgefühl noch einmal deutlich größer.

Warum? Weil dieser Vogel oft nur noch eine einzige Chance auf ein glücklicheres Leben hat – und diese Chance bin ich.


Dieses Bewusstsein trägt mich durch jeden Rückschritt. Die Antwort auf jedes Stolpern lautet: „Kein Problem, wir gehen einen Schritt zurück. Wir schaffen das.“ Noch einmal, und noch einmal.

Jeder kleinste Erfolg wird gefeiert – und gewinnt durch dieses Bewusstsein unendlich an Wert.


Ihr solltet euch immer eines klar machen: Jeder Biss erzählt eine Geschichte. Unsere Aufgabe ist es, genauer hinzuschauen und diese Geschichte zu verstehen.

Heute möchte ich deshalb 4 Learnings mit euch teilen – Dinge, die ich aus meiner jahrelangen Arbeit mit Papageien kenne, die mir im Training mit Joker auch wieder bewusst geworden sind. Und auch wenn der ein oder andere Tipp vielleicht schlicht klingt: Nichts davon ist selbstverständlich!


Also, kommen wir zu meinen 4 Learnings:


Learning 1: Vertrauen ist keine Einbahnstraße

Vertrauen lässt sich nicht erzwingen. Und es wächst meist auch nicht in dem Tempo, das wir uns wünschen.

Oft hatte ich im Training mit Joker das Gefühl: „Ja, jetzt sind wir bereit für den nächsten Schritt.“ Eine reine Bauchentscheidung voller Euphorie und Motivation – doch Joker hat mir sehr schnell gezeigt: „Nein, so weit bin ich noch nicht.“

Heißt: Gefühl und Realität sind nicht immer im Gleichschritt.

In solchen Momenten ist es wichtig, Erwartungen zurückzuschrauben und die Euphorie ein Stück weit zu bremsen. Joker hat absolut nichts davon, dass ich bereit für den nächsten Schritt bin. Ganz im Gegenteil: Im schlimmsten Fall wirft das unser gegenseitiges Vertrauen sogar zurück, weil ich seine Grenzen überschreite.

Denn Vertrauen funktioniert nur, wenn beide Seiten auch bereit dazu sind.

Habe ich Vertrauen, ist das gut und wichtig. Aber noch wichtiger ist, dass auch der Vogel so weit ist, mir dieses Vertrauen zu schenken.

Und das gilt übrigens auch andersherum: Manche Vögel sind selbstsicher und zutraulich, während der Halter unsicher im Umgang ist. Auch dann passt das Tempo nicht zusammen. In solchen Fällen gilt es, den Menschen an der richtigen Stelle abzuholen.


Was ich dir hier mitgeben möchte: Unsere eigene Sicht zu bewerten, fällt leicht – wir wissen, wie viel Vertrauen wir selbst haben, wie sicher oder unsicher wir uns fühlen. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die Brille zu wechseln und die Perspektive des Vogels einzunehmen.

Gegenseitiges Vertrauen wächst viel schneller, wenn wir lernen, diese Sicht ernst zu nehmen: zu erkennen, wo steht mein Vogel gerade – und wo darf ich ihn abholen? 

Erst wenn beide Seiten gesehen und abgeholt werden, entsteht echtes, stabiles Vertrauen.


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Pacolito - Unsere Blaustirnamazone

Learning 2: Training ist kein Trick – sondern Beziehung

Viele Menschen denken beim Training sofort an „Tricks“: Auf die Hand kommen, eine Drehung oder andere Kommandos. Für manche klingt das wie Dressur oder eine Zirkusnummer – also nach Kontrolle, Pflicht und dem Versuch, den Vogel gefügig zu machen.

Doch das ist ein absolutes Missverständnis. Die Wahrheit ist: Training ist kein Trick – Training ist Beziehung.

Denn die wahren Meilensteine liegen nicht im Endergebnis, sondern in den vielen kleinen Schritten dorthin.

Wenn Joker zum Beispiel einen Schritt mehr auf mich zukommt, ein Leckerli ruhiger annimmt oder eine Übung etwas entspannter meistert – dann sind das für mich die wirklich großen Erfolge. Für Außenstehende mag es klein wirken. Aber für unsere Beziehung sind es die Momente, die Vertrauen schaffen.


Was zählt, ist nicht das, was am Ende „gezeigt“ werden kann – sondern das, was auf dem Weg dorthin entsteht: gegenseitiges Verständnis, Sicherheit, Nähe. Jeder kleine Fortschritt verdient deshalb Wertschätzung – weil er Teil einer wachsenden Beziehung ist.

Am Ende gilt: Der Trick ist nur das sichtbare Nebenprodukt. Das, was wirklich bleibt, ist das Vertrauen, das ihr auf diesem Weg aufgebaut habt.




Learning 3: Ein Papagei beißt - Bisse sind kein Versagen!

Ein Biss tut weh – körperlich und oft auch emotional. Schnell tauchen Gedanken auf wie: „Mein Vogel ist böse..“ oder „Mein Vogel hasst mich.“ Doch eines ist wichtig zu verstehen: Ein Biss ist Kommunikation. Und zwar meist die letzte Instanz der Kommunikation, weil andere Signale über die Körpersprache zuvor nicht verstanden wurden. Sie beißen nicht aus Boshaftigkeit. Es ist ihre Art zu sagen: „Das war mir zu nah.“ – „Das ist mir zu viel.“ – oder „Ich fühle mich nicht gut.“ Kurz gesagt: Beißen ist ein wertvolles Feedback. Und genau deshalb ist es so wichtig, das Verhalten zu verstehen. Denn nur wenn wir erkennen, was den Biss ausgelöst hat, können wir passende Lösungen finden – und Situationen so gestalten, dass Beißen gar nicht mehr nötig wird.


Typische Gründe fürs Beißen können sein:

  • Unsicherheit oder Angst - der Vogel fühlt sich bedroht oder bedrängt.

  • Gewünschte Reaktion - der Vogel hat gelernt, dass Beißen sofort eine Antwort provoziert.

  • Frustration oder Überforderung - das Training war zu schnell, zu lang oder zu anspruchsvoll.

  • Schutz von Ressourcen oder hormonelle Einflüsse - z. B. Verteidigung des Partners, des Futters, des Sitzplatzes

  • Krankheiten oder Schmerzen - körperliches Unwohlsein macht gereizt und kann aggressives Verhalten auslösen.


Sieh den nächsten Biss nicht einfach nur als „Angriff“, sondern vielmehr als Rückmeldung. Frag dich: Welcher Auslöser steckt dahinter – und wie kann ich es beim nächsten Mal besser machen, um es langfristig zu lösen? So wird aus Schmerz eine Chance und aus einem Problem ein Weg zu mehr Verständnis und Vertrauen.


Learning 4: Ruhe ist deine Superhelden-Fähigkeit

Wenn ich mir im Umgang mit Papageien nur eine Superkraft aussuchen dürfte, dann wäre es: Ruhe.

Denn Ruhe bedeutet für unsere Vögel: Souveränität, Berechenbarkeit – und vor allem Sicherheit.

Gerade in herausfordernden Situationen – wenn der Vogel verunsichert oder gestresst ist – ist Ruhe Gold wert. Sie verhindert, dass sich unser Stress, unsere Nervosität oder unsere unklaren Signale zusätzlich auf den Vogel übertragen.

Und das gilt nicht nur in Stressmomenten: Ruhe ist in jeder Interaktion die Grundlage dafür, dass dein Vogel sich sicher fühlt – vom ersten Zähmungsversuch bis hin zu fortgeschrittenem Training.


Doch so einfach es klingt, so schwer ist es manchmal in der Praxis. Wir Menschen neigen dazu, ungeduldig zu werden und emotional zu reagieren.

Oft vermenschlichen wir unsere Tiere zusätzlich – und genau das ist gerade in Stresssituationen alles andere als hilfreich.


Ruhe bedeutet:

  • Atmen, bevor wir handeln.

  • Bewegungen bewusst verlangsamen.

  • Körpersprache weich und vor allem klar halten.

  • Die eigene Stimme ruhig führen.


All das sind kleine Signale, die für unsere Vögel riesig wirken. Denn sie spüren jede Nuance – und je ruhiger wir sind, desto sicherer fühlen sie sich.

Und noch etwas Wichtiges: Ruhe bringt uns überhaupt erst in die Lage, förderlich zu handeln. Nur wenn wir souverän bleiben, können wir auf unerwünschtes Verhalten gelassen reagieren – und im nächsten Moment gezielt das gewünschte Verhalten positiv verstärken.


Auch mit Joker erlebe ich das immer wieder: Wenn ich gestresst bin, weil ich zum Beispiel wenig Zeit habe, reagiert er extrem sensibel darauf. Er wird vorsichtiger, unsicherer – und merkt sofort, was los ist. Papageien sind Meister darin, unsere Körpersprache zu lesen, fast wie in einem offenen Buch. In solchen Momenten ist es besser, das Training zu verschieben, als es unter Druck durchzuführen. Wenn ich hingegen ruhig bleibe, öffnet genau diese Ruhe die Tür, ihn abzuholen und kleine Fortschritte zu feiern.

Ich sage deshalb oft: Ruhe ist die stärkste Form von Sicherheit, die wir unseren Vögeln geben können.

Und das Beste: Diese Superkraft steht jedem zur Verfügung. Es ist kein Talent, sondern eine Fähigkeit, die wir üben und bewusst einsetzen können – jeden Tag, in jeder Situation.


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Pacolito - Von Biss zur Bindung

Mein Impuls für dich: Ruhe ist keine Passivität. Sie ist eine aktive Entscheidung. Deine innere Ruhe ist die Sprache, die dein Vogel am klarsten versteht – und mit der du Vertrauen Schritt für Schritt wachsen lässt.


Fazit

Joker hat mir einmal mehr gezeigt: Wenn ein Papagei beißt, ist es kein Endpunkt, sondern ein Anfang. Jeder Biss, jeder kleine Fortschritt, jedes Zögern ist Feedback – und damit eine Einladung, genauer hinzusehen und zu lernen.


Die 4 Learnings aus unserer gemeinsamen Reise lassen sich auf fast jede Mensch-Vogel-Beziehung übertragen:

  • Vertrauen ist keine Einbahnstraße. Es wächst nur, wenn beide Seiten bereit dafür sind.

  • Training ist kein Trick – sondern Beziehung. Die wahren Meilensteine liegen in den kleinen Schritten auf dem Weg.

  • Bisse sind kein Versagen. Sie sind Feedback, das uns hilft, Ursachen zu erkennen und Lösungen zu finden.

  • Ruhe ist deine Superhelden-Fähigkeit. Sie ist die stärkste Form von Sicherheit, die wir unseren Vögeln geben können.


Wenn du diese Punkte verinnerlichst, verändert sich dein Blick auf Training und Zusammenleben. Es geht nicht um schnelle Ergebnisse oder perfekte Kommandos. Es geht um Vertrauen, Verständnis und eine Beziehung, die Schritt für Schritt wächst.


Und genau darin liegt die eigentliche Magie: Jeder Vogel kann lernen – unabhängig von Alter, Vorgeschichte oder bisherigen Erfahrungen. Und wir Menschen ebenso. Die Frage ist nicht, wie schnell ihr ans Ziel kommt, sondern wie bewusst ihr den Weg dorthin gemeinsam geht.


Gefiederte Grüße Daniel

 
 
 

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